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Lebenswege und neue Anfänge: Obdachlos

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Manche Menschen gingen ohne einen Blick an mir vorbei,

wenn ich schnorrte

Tagsüber schnorrte ich die Leute um Kleingeld an – für LebensmiƩel und für ein paar Extras wie Ta- bak oder mal einen Diskothekenbesuch. Manche Leute waren sehr freundlich, andere sagten, ich solle was arbeiten. Da fühlte ich mich missverstan- den, weil ich ja nicht aus Spaß auf der Straße leb- te, sondern weil es im Moment nicht anders ging. Außerdem ist es schwierig, einen Job zu finden, wenn man keinen festen Wohnsitz hat. Den wiede- rum kriegt man ohne festen Job nicht. Solche Dis- kussionen waren unangenehm, aber am schlimms- ten war es, wenn die Leute ohne einen Blick an mir vorbeigingen. Ich weiß jetzt, wie demüƟgend es sein kann, wenn man zu dem Teil der Bevölke- rung gehört, der sich absolut nichts leisten kann

und auf die Unterstützung anderer angewiesen ist.

MiƩags ging ich in die Freiburger Straßenschule, das ist keine Schule, sondern eine Einrichtung für junge Obdachlose. Da kochte ich mir was War- mes, chaƩete am PC mit meinem Bruder, rede- te mit den Sozialarbeitern über meine ZukunŌ. Und jetzt geht es endlich voran: Ich habe einen Platz in einem Wohnprojekt für junge Obdach- lose bekommen, für ein Jahr. Ich will die Zeit nut- zen, um mein Leben noch einmal neu zu begin- nen. Ich will mir später nicht sagen müssen, dass ich nichts auf die Reihe gekriegt und immer nur am unteren Rand der GesellschaŌ gelebt habe.

Das hat mir gutgetan zu sehen, dass ich etwas bewirken kann

Beruflich würde ich am liebsten was mit Behin- derten machen. Ich schaffe es ganz gut, vertrau- ensvolle Beziehungen zu Menschen aufzubauen. So wie ich meinen Bruder durch meine Kochküns- te dazu gebracht habe, mehr zu essen. Das hat mir auch richƟg gutgetan, zu erleben, dass ich et- was bewirken kann. Jetzt hoffe ich auf eine Prak- Ɵkumsstelle, womöglich einen Ausbildungsplatz.

Vor kurzem ist meine PflegemuƩer gestorben. Das hatmichziemlichruntergezogen. EineZeit langkonn- te ich an nichts anderes denken. Mit meinen Pflege- geschwistern treffe ich mich ab und zu, mit meiner leiblichen MuƩer telefoniere ich nur. Aber den Kon- takt zu meinem Bruder will ich dauerhaŌ halten. Ich glaube, wenn er könnte, würde er auch ausziehen.

© nat verlag 2015

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