Lexikalisch-semantische Störungen - Begleittext

Theoretischer Hintergrund

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Geht man von einem solchen Modell semantischer Wissensrepräsentation aus, so werden im Prozeß der Sprach- verarbeitung die Bedeutungen der in der Äußerung enthaltenen Wörter aus ihren semantischen Merkmalen be- rechnet. Bedeutungsbeziehungen oder semantische Ähnlichkeiten zwischen Wörtern ergeben sich aus dem Ver- gleich ihrer semantischen Merkmale. Die hierarchische Struktur der Ober- Unterbegriffsrelation, wie sie z.B. zwi- schen Fisch und Forelle besteht, wird über die Anzahl der sich überschnei- denden Merkmale definiert: der ja abs- traktere Oberbegriff verfügt einfach über einige definitorische Merkmale weniger als das untergeordnete Kon- zept. Dabei impliziert das Merkmalmo- dell , daß bei der Verarbeitung eines Wortes alle seine semantischen Merk- male mitverarbeitet werden (müssen), und erfordert damit eine komplexere, aufwendigere, aber auch tiefere se- mantische Verarbeitung als sein Kon- kurrent, das Netzwerkmodell . Dieses Modell (s. Collins & Quillian, 1972; Collins & Loftus, 1975) repräsen- tiert die Begriffe und ihre Eigenschaften in Form eines semantischen Netz- werkes; die Informationen über die phonologischen Eigenschaften der Wörter sind in einem gesonderten Netzwerk enthalten. Die formale Ge- stalt des semantischen Netzwerkes sieht so aus, daß Konzepte und se- mantische Eigenschaften als Knoten dargestellt werden. Diese Knoten wer- den mithilfe gerichteter Pfeile miteinan- der verbunden, welche die zwischen Konzepten und Eigenschaften beste- henden assoziativen Verknüpfungen repräsentieren. Je mehr solcher Ver- bindungen zwischen zwei Konzepten bestehen, desto größer ist ihre seman- tische Ähnlichkeit. Die Konfiguration

der gerichteten Pfeile, die mit einem Wort abgespeichert ist, repräsentiert seine Bedeutung. Unser oben genann- tes Beispiel würde im Netzwerkmodell etwa folgendermaßen dargestellt (s.a. Leuninger, 1989, S.86):

Tier

Fisch

kann schwimmen

Hai

gefährlich

Dreiecksflossen

Die mit dem Konzept Fisch verknüpfte Eigenschaft kann schwimmen gilt auch für alle seine Unterbegriffe wie Hai, Fo- relle, Karpfen usw. Die Information kann direkt aus der Ober- Unterbegriffsbeziehung abgelesen werden und braucht daher nicht noch einmal bei jedem Unterbegriff abge- speichert zu werden. Im Unterschied zum Merkmalmodell ermöglicht es die hierarchische Organisation des seman- tischen Netzwerkes, die Information über den Oberbegriff und die Kohypo- nyme eines Konzepts unmittelbar abzu- rufen. Hinsichtlich der Verarbeitung eines Konzepts nehmen die Vertreter des Netzwerkmodells an, daß sich die semantische Aktivierung auf die assozi- ierten Konzepte ausdehnt. Je stärker ein Begriff mit dem aktivierten Konzept verknüpft ist oder je näher er diesem innerhalb des Netzwerkes liegt, desto stärker wird auch er von der semanti- schen Aktivierung erfaßt. "Aus aphasio- logischer Sicht sprechen die Ähnlichkeit semantischer Paraphasien zum Ziel- wort und vor allem Beobachtungen aus der Sprachtherapie dafür, daß sich die

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